Der Weg des Kreativen untersucht am Beispiel des Kritzels. Bedeutung und Analyse von Empfindungsbildern als eine Vorstufe des landschaftsarchitektonischen Entwerfens
Gebriele Holst
Räumliche Situationen werden durch ganzheitliches Erleben wahrgenommen. Zu den funktionalen Aspekten treten Qualitäten, die primär leiblich-sinnlich und somit größtenteils unbewusst erlebt werden. Der Untersuchung liegt die Auffassung zugrunde, dass dieses Erleben, ausgedrückt als Empfindungen, der Wahrnehmungs-Modus ist, dessen Qualitäten und Wirkungen in einer Raum herstellenden Profession wie der Landschaftsarchitektur aus dem Blickfeld geraten sind. So werden Potentiale des kreativen Prozesses, nämlich aus der Komplexität von individuellen Empfindungen allgemeine Mitteilungsgehalte zu entwickeln, kaum bewusst und wenig genutzt. Was zu einer Art von „Kreativitäts-Vergessenheit“ führt. Schöpferischen Tätigseins wird derart verkürzt, dass Kreativität nur als ein möglichst neues Produkt erscheint. Kreativität wird als ein menschliches Grundphänomen jedoch in seinen dialogischen Möglichkeiten für den Entwurfsprozess nicht ausreichend erfasst. Die Untersuchung ist als ein Beitrag angelegt, sich der Ebenen des kreativen Weges, ihrer strukturellen Eigenschaften sowie den Bedeutungen für den entwurflichen Ablauf bewusst zu werden. Was vor allem eine Sensibilisierung für die Bedeutung der Empfindungsebene beinhaltet. Wir begegnen den Ebenen des kreativen Prozesses als zwei Möglichkeiten von Wahrnehmung. Unmittelbares Erleben und differenzierendes Reflexionsvermögen treten dabei in ihren unterschiedlichen Eigenschaften, aber vor allem in ihren Bedingtheiten hervor. Dies ist eine jedem Menschen immanente Struktur, was anhand von verschiedenen wissenschaftlichen Feldern vertiefend dargestellt wird. Die dialogischen Relationen der Ebenen begründen schließlich die Dynamik des schöpferischen Tätigseins als offenen Prozess. Der Prozess ist einerseits durch zyklische Wiederholungen einer immer gleichen Struktur sowie andererseits durch die individuelle Verarbeitung innerhalb dieses Gefüges charakterisiert. Die Struktur selbst sowie das Zusammenwirken ihrer Komponenten und die damit verbundenen Qualitäten werden offen gelegt, um ein erweitertes Verständnis für die Gestaltung und das Erleben räumlicher Situationen zu ermöglichen. Die Ergebnisse sind nicht vorhersagbar. Aufbauend auf diesen Überlegungen kommen vor allem Aspekte der Psychoanalyse und Phänomenologie zum Tragen und werden im methodischen Ansatz einer eidetischen Strukturanalyse aufgenommen. Die eidetische Strukturanalyse ermöglicht eine Differenzierung wie auch Verknüpfung zwischen den ganzheitlich Qualitäten der Empfindungsebene und den differenzierenden der rationalen Ebene. Die Anschaulichkeit des Bildes kann eine Brückenfunktion zwischen den unterschiedlichen Eigenschaften der Ebenen herstellen. Dieser Verknüpfungsmodus wird anhand der Kategorie der „Empfindungsbilder“ herausgearbeitet. „Empfindungsbilder“ stellen die Verbindung zwischen einem individuellen, unmittelbaren Erleben und der Vermittlung zu allgemeinen Aussagen dar. Als Referenz für die Untersuchung wird das Kritzel gewählt. Das Kritzel steht für ein anschauliches Ergebnis einer unmittelbaren Tätigkeit, die reflexiv betrachtet werden kann. Kritzeln stellt eine Vorstufe des Zeichnens dar. Das Zeichnen ist wiederum eine der wichtigsten Darstellungsmethoden zur Vermittlung von Ideen im landschaftsarchitektonischen Entwurfsprozess. Das Potential des Kritzels liegt darin, dass spontane Bewegungen als bildlicher Ausdruck eines inneren Erlebens festgehalten sind. Im zweiten Teil der Arbeit wird im sogenannten Untersuchungs-Weg das Kritzel zum Ausgangsmaterial für eine weitere Verarbeitung im kreativen Weg. Die grundlegende Konstruktion des Untersuchungs-Weges beruht auf drei Komponenten, die als fortgesetzt wiederkehrender Ablauf den allgemeinen Rahmen darstellen. Die Gehalte von Empfindungsebene und rationaler Ebene als den maßgeblichen Wirkebenen im kreativen Prozess werden bzgl. ihrer Qualitäten wie z.B. Komplementarität und Interdependenz sichtbar gemacht und erklärt. Die Analyse und Vergegenwärtigung jedes Zwischenschrittes im kreativen Prozess des Untersuchungs-Weg trägt dazu bei, sich eines kreativen Potentials zu vergewissern. Das kreative Potential entwickelt sich als immer wieder neu herzustellende Ausformung eines sich wiederholenden Zyklus, in welchem die Unmittelbarkeit der Empfindungsebene als ein Prinzip des Individuellen in einen Dialog zu allgemeinen Aussagen tritt. Die strukturelle Disposition beider Ebenen wahrzunehmen und zu einem individuellen Ablauf zu entfalten, ist eine Möglichkeit, „Kreativitäts-Vergessenheit“ zu begegnen. Empfindungen als einen wesentlichen Teil des kreativen Tätigseins und folglich als eine Grundlage des Entwerfens zu analysieren, bedeutet auch, diese Ebene stärker in die Gestaltung räumliche Situationen hineinzutragen und als Potential des ganzheitlichen Erlebens zu transportieren.