Il giardino ritrovato – Der wiedergefundene Garten oder Bramantes Erben
Kerstin Wagenschwanz

Die Arbeit verfolgt das Ziel, das Fortbestehen eines Einflusses der Lehren der Renaissancegartenkunst auf die Gartenarchitektur des 20. Jh. nachzuweisen. Dazu wird der Ansatz gewählt anhand von Bramantes Belvedere-hof im Vatikan – als dem wegweisenden Beispiel für den italienischen Renaissancegarten – wesentliche gestalterische Merkmale dieser Epoche herauszuarbeiten. Unter Zugrundelegen dieser Merkmale wird eine Betrachtung und Bewertung der Werke zweier bedeutender Gartenarchitekten des 20. Jh., Pietro Porcinai und Dieter Kienast vollzogen. Dabei werden Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den Werken gegenüber der der Gartenkunst der Renaissance aufgezeigt. Es wird untersucht, ob sich wesentliche Gestaltungsaspekte, die dem Belvederehof zugrunde liegen, in den Arbeiten dieser Gartenarchitekten wiederfinden bzw. ob und wie diese im Sinne einer zeitgemässen Umsetzung weiterentwickelt wurden. Der Vergleich erfolgt anhand der Bildung von Kriterien, die den Betrachtungen realisierter Projekte zugrunde gelegt wurden. Für den Belvederehof wurden folgende Basiskriterien herausgearbeitet: Raumbildung, Dreidimensionalität; Raumfolge, Axialität, Symmetrie, architektonische Fassung, Zentralperspektive, Einheit des Ganzen bei Eigenständigkeit der Teile, Bezug zur Architektur, Ortsbezug, Anwendung historischer Vorlagen als Basis für eine neue gestalterische Sprache; Öffnung zum Kontext. In der Untersuchung wird aufgezeigt, dass sich in den Arbeiten von Porcinai und Kienast wesentliche gestalterische Grundprinzipien vom Bramantes Hof wiederfinden. Es wurde jedoch kein Nachweis eines direkten Eingehens auf den Hof erbracht, vielmehr konnten anhand der betrachteten Projekte Parallelen und Analogien sowie deren Weiterentwicklung in den gestalterischen Lösungen aufgezeigt werden. Bei Porcinai zeigt sich dies: im Ablösen der strengen Axialität, Symmetrie, Perspektive durch freiere Raumbildung und Verknüpfung, in der stärkeren visuellen und physischen Öffnung der Gärten, im Inszenieren neuer räumlicher Zusammenhänge zwischen Garten, Architektur und Kontext, in der Aufgabe des Primates der Architektur zugunsten einer gesamtheitlichen Wirkung von Freiraum und Architektur, in der Neudefinierung des Ortsbezuges primär durch die Landschaft. Insbesondere in der Arbeitsweise Kienasts zeigen sich unter den Aspekten einer zeitgenössischen theoretisch-philosophischen Erneuerung der Gartenkunst durch das Herstellen eines Bezuges zu gesellschaftlichen Prozessen, den Umgang mit historischen Vorlagen und letztendlich in der physisch-räumlichen Ausbildung der Gärten (Raumbildung, Raumfolge, architektonische Sprache, Zitieren historischer Kategorien in einem erneuerten Sinne) Parallelen zu Bramante und dem Belvederehof. Es wurde ein Übertragen Bramantescher Prinzipien auf veränderte Dimensionen und neue Raumtypen, insbesondere den des Lebensraumes Stadt herausgearbeitet. Dies beinhaltete u.a. die zeitgenössische Definition des Natur-, Stadtnatur- und Ortsbegriffes, das Eingehen auf die Dimension und Maßstäblichkeit städtischer Strukturen und das bewusste Gegenüberstellen der Stadt zur Landschaft. Das Bramantesche Raumverständnis wurde erweitert durch: das Ablösen der zentralen Axialität durch die Raumfolge, als ein von der Architektur unabhängiges System von Räumen, der Aufgabe des Primates der Architektur zugunsten einer gestalterischen Einheit, das Ablösen der Zentralperspektive durch das Mittel der visuellen Überleitung, das visuelle und physische Einbeziehen des Kontextes in die Raumfolgen und damit das Herstellen von neuen räumlichen und inhaltlichen Zusammenhängen sowie den Einsatz historischer Elemente/ Motive als bewusst herausgestellte Zitate. In dem Herausarbeiten der grundlegenden Gestaltungsprinzipien des Belvederehofes und der Betrachtung ihrer Aufnahme und Weiterentwicklung in den Werken zweier Gartenarchitekten des 20. Jh. konnte in den ersten Ansätzen aufgezeigt werden, dass bestimmte Kontinuitäten in der Wahl der Gestaltungsmittel gegeben sind, dass aber deren Aufnahme in den beiden Werken nicht als rückwärtsgewandte, rezeptive Übernahme verstanden werden kann. Damit kann diese Arbeit zu einem Baustein für weitere Untersuchungen werden.